Bericht

Schicksal von Aaron van der Walde, Sara Hartog und Lazarus Altgenug geklärt!

BBS II Emden und Max-Windmüller-Gesellschaft zurück aus Lodz

 

Austauschgruppe vor dem Staatsarchiv Lodz: vorne - von links: Agata Stawinski, Marlena Appel, Natalfa Fertich, Margarita Stumpf / hinten - von links: Arek Domasat, Ola Szuman, Dr. Rolf Uphoff, Max Hima, Gero Conring, Ola Szmagaj, Patrycja Bobowicz, Foto: Izabela Kowalczyk

 

Schüler der BBS II Emden und Vertreter der Max-Windmüller-Gesellschaft Emden fuhren im März 2014 nach Lodz, um einerseits im Staatsarchiv von Lodz das Schicksal der letzten ostfriesischen Juden zu erforschen. Andererseits wurde Kontakt aufgenommen zu einem Gymnasium, um eine Schulpartnerschaft zu entwickeln. Der ostfriesischen Gruppe wurde im III. Liceum Ogólnokształcące an der Sienkiewicza 46/Lodz von der Schulleiterin Mariola Włodarczyki und der Deutschlehrerin Izabela Kowalczyk ein überaus freundlicher Empfang bereitet. Eine kleine deutsch-polnische Schülergruppe wurde in den folgenden Tagen im Staatsarchiv fündig und konnte 32 Todesdaten von verstorbenen bzw. ermordeten Juden identifizieren. Für das Jahr 2015 ist der Besuch der polnischen Schülergruppe in Emden geplant.

Bei herrlichem Sonnenschein in der Woche vom 10.3. bis zum 16.3.2014 besuchte eine Delegation der BBS II Emden und der Max-Windmüller-Gesellschaft Emden die Stadt Lodz in Polen. Ziele der Reise waren u.a. die Fortführung der Recherchearbeit hinsichtlich des Schicksals der letzten 122 Juden Ostfrieslands, die 1941 nach Litzmannstadt (Lodz) deportiert worden waren. Außerdem stand auf dem Programm die Anbahnung eines Schüleraustausches zwischen Emden und Lodz. Letztlich wurde die Reise einer Delegation der Stadt Emden nach Lodz Ende August zu der Gedenkveranstaltung anlässlich der Liquidation des Ghettos Litzmannstadt im Jahr 1944 vorbereitet.

Presse:              EZ 25.03.2014              OZ 02.04.2014       


Tagebuch:

Montag, 10. März 2014

Nach einer Bahnfahrt von Emden nach Bremen bestieg die sechsköpfige Reisegruppe einen Nachtbus in Richtung Lodz: 1. Natalja Fertich, 2. Margarita Stumpf, 3. Agata Stawinski und 4. Marlena Appel (Schülerinnen des Beruflichen Gymnasiums der BBS II Emden, Jahrgang 12 und 13), 5. Gero Conring (Stellvertretender Schulleiter der BBS II Emden, 2. Vorsitzender der Max-Windmüller-Gesellschaft Emden) und 6. Dr.Rolf Uphoff (Leiter des Stadtarchivs Emden, 1. Vorsitzender der Max-Windmüller-Gesellschaft Emden.

Dienstag, 11. März 2014

Die zwölfstündige Fahrt endete auf dem Busbahnhof im Süden der Stadt Lodz am frühen Morgen. Als Unterkunft wurden Zimmer im Hotel Polonia bezogen. Dr. Rolf Uphoff und Gero Conring bereiteten im Staatsarchiv am Platz Wolnosci mittels Sichtung und Vorsortierung der nötigen Archivalien die Arbeit der deutsch-polnischen Schülergruppe vor.

Mittwoch, 12. März 2014

Der ostfriesischen Gruppe wurde im III. Liceum Ogólnokształcące an der Sienkiewicza 46 von der Schulleiterin Mariola Włodarczyki und der Deutschlehrerin Izabela Kowalczyk ein sehr freundlicher Empfang bereitet. Eine Schulpartnerschaft mit einem Besuch der Austauschgruppe aus Lodz für das Jahr 2015 wurde vereinbart. Nach einem kurzen Treffen führten fünf polnische Schülerinnen und Schüler (Arek Domasat, Max Hima, Patrycja Bobowicz, Ola Szuman und Ola Szmagaj) die kleine deutsche Schülergruppe durch das historische Gebäude. Die Schule hat sich als Patron den polnischen Adeligen Tadeusz Kościuszko (1746 – 1817) gewählt, Nationalheld, General und Anführer des nach ihm benannten Aufstandes gegen die Teilungsmächte Russland und Preußen im Jahr 1794.                  

Nachmittags besuchten Gero Conring und Dr.Rolf Uphoff das Centrum Dialogu an der Wojska Polskiego 83 in dem gerade fertiggestellten Neubau, der erst im April eingeweiht wird. Das Centrum Dialogu als städtische Einrichtung hat sich zur Aufgabe gemacht, im Bereich der Kultur- und Bildungsforschung tätig zu werden, insbesondere um das Gedenken an die multikuturelle und multiethnische Vergangenheit der Stadt Lodz zu bewahren. Empfangen wurden sie von Joanna Podolska-Płocka (Direktorin Centrum Dialogu), Eliza Gaust (Projektleiterin, Centrum Dialogu) und Grażyna Bolimowska (Stellvertretende Direktorin der Kulturabteilung der Stadt Lodz), um den Besuch einer Delegation der Stadt Emden nach Lodz Ende August zu der Gedenkveranstaltung anlässlich der Liquidation des Ghettos Litzmannstadt im Jahr 1944 vorzubereiten. Rolf Uphoff wird als Abgesandter der Stadt Emden Bürgermeister Riko Mecklenburg während der Gedenkveranstaltungen begleiten. Überlebende des Ghettos, besonders aus den USA und aus Israel werden erwartet, ebenso Vertreter der Städte, aus welchen jüdische Mitbürger seinerzeit nach Litzmannstadt deportiert wurden.

Donnerstag, 13. März 2014

Die deutsch-polnische Schülergruppe arbeitete sich im Staatsarchiv von Lodz durch Berge von Mikrofilmrollen, auf welchen An- und Abmeldedaten der Ghettobewohner aus der Zeit des II. Weltkriegs fixiert sind. Die bisher unbekannten Todesdaten einer ganzen Reihe ostfriesischer Juden aus der Zeit zwischen Oktober 1941 und September 1942 konnten recherchiert werden. Während 25% der betagten Emder, Auricher und Norder schon im Altersheim in der Gnesener Straße 26 verstorben waren, wurde der Großteil der jüdischen Ostfriesen am 11. und am 12. Mai 1942 „ausgewiesen“. Der Begriff „Ausweisung“ ist als Synonym für Deportation in den Tod zu verstehen. Einen Tag nach dem Verlassen von Litzmannstadt wurden die Ghettobewohner in Kulmhof (Chelmno), nordwestlich von Lodz, in drei Bussen durch Motorabgase ermordet. Die Busse waren samt „Mannschaften“ aus dem Reichsgebiet nach Chelmno verlegt worden. In Deutschland waren vor dem Einsatz in Polen behinderte Menschen auf die gleiche brutale Art und Weise ermordet worden. Das Schicksal von Aaron van der Walde aus Emden, von Lazarus Altgenug aus Norden und Sara Hartog aus Aurich konnte von den Schülern mittels der Meldekarten nachvollzogen werden. Lazarus Altgenug und Aron van der Walde verstarben im Altersheim, während Sara Hartog mit einem Großteil der ostfriesischen Juden am 11.5.1942 nach Kulmhof deportiert wurde. Außerdem konnte eine ganze Reihe von Fotos, die das Leben im Greisenheim in der Gnesener Straße 26 dokumentieren, als Kopie bestellt werden. Mit diesen Fotos wird die Situation der Altenheimbewohner anschaulich präsentiert werden können. 

Freitag, 14. März 2014

Nach weiterer gemeinsamer Archivarbeit besuchte die kleine deutsch-polnische Gruppe zu Sonnenuntergang einen Eingangs-Gottesdienst zum Schabbat. Während die männlichen Gäste unter anderem in einen rhythmischen Tanz mit Gesang um das Lesepult einbezogen wurden, nahmen die weiblichen Gäste Platz in einem durch weiße Gazevorhänge abgetrennten Nebenraum. Abgesehen von wenigen liberalen jüdischen Gemeinden (z.B. die Jüdische Gemeinde Oldenburg mit einer Rabbinerin - http://www.mwg-emden.de/index.php?Exkusionen:Exkursionen_2014) ist die Geschlechtertrennung im jüdischen Gottesdienst auch heute noch üblich. Die für den Gottesdienst erforderlichen zehn männlichen Gemeindemitglieder (hier überwiegend orthodoxen) folgten im Gebet und im Rezitieren dem Vorbeter und Kantor. Für die Schülerinnen aus Emden, die sich auf das Abitur vorbereiten, um anschließend zu studieren, bedeutete dieser Besuch eine spezielle Erfahrung.

Sonnabend, 15. März 2014

Nach dem herrlichen Wetter in der zurückliegenden Woche brachte der letzte Tag in Lodz aprilhafte Kapriolen mit Regen, Hagel und Sonnenschein bei stürmischen Winden – eine durchaus an Ostfriesland erinnernde Wetterlage. Am späten Nachmittag bestiegen die Emder den Nachtbus nach Bremen, um am Sonntagmorgen den Regionalexpress nach Emden zu nehmen. Viele Eindrücke, erfolgreich Recherchiertes, riesige Gastfreundschaft, neue Kontakte und ein Wiedersehen mit alten Freunden sind als Resultat der Reise zu verbuchen.

 

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Impressionen:


Rita Stumpf, Schülerin - Berufliches Gymnasium Gesundheit und Soziales, Jahrgang 13:

Am 12.3. besuchten wir das III. Lyzeum in Lodz, um einen Schüleraustausch mit unserer BBS II in Emden zu beginnen. Das Gebäude gefiel von Anfang an sehr. Die Schule, ein ehemaliger Palast, ist noch sehr gut erhalten. Der polnische Freiheitsheld Tadeusz Kościuszko ist an vielen Stellen in der Schule als Patron in Bildform zu finden. Von fünf Schülern und Schülerinnen wurden wir durch das Schulgebäude geführt. Sie waren sehr freundlich, zuvorkommend und waren bemüht, uns ALLES zu zeigen und sich mit uns zu unterhalten.  Sie beherrschten die deutsche Sprache größtenteils recht gut, was wir von über unsere Polnischkenntnisse leider nicht sagen können. Die Lehrer und Lehrerinnen in der Schule wirkten sehr strikt und streng.

Am Donnerstag begann unsere Arbeit im Staatsarchiv – gemeinsam mit den Schülern des Lyzeums. Wir suchten im Archiv nach sogenannten Meldekarten der ostfriesischen Juden, die nach Litzmannstadt deportiert waren. Die noch nicht bekannten Todesdaten sollten z.B. für die Stolpersteinaktion in Emden gefunden werden. Dabei erfuhren wir auch die Gründe des jeweiligen Todes. So wurde oft der Grund „ausgesiedelt“ angegeben, was so viel bedeutete wie: deportiert in den Tod nach Chelmno. Nach beendeter Arbeit waren wir zufrieden, eine ganze Reihe von Daten gefunden zu haben.

Am Freitag besuchten wir einen jüdisch orthodoxen Gottesdienst. Wir als Frauen, mussten uns in einen durch einen Vorhang abgegrenzten Raum setzten. In dem anderen, größeren Raum haben sich die Männer während des Gottesdienstes aufgehalten. Um 17:30 Uhr, als mindestens zehn männliche Juden anwesend waren und die Sonne unterging, fing der Gottesdienst zum Schabbat an. Die Frauen hatten sich hübsch zurechtgemacht, die jüngeren trugen schicke Kopftücher, auch Ihre kleinsten Kinder hatten Sie dabei. Die Männer hatten hauptsächlich schwarze Kleidung an, meistens Mäntel, einige trugen Hüte, Mützen oder schwarze Pelzmützen. Der Rabbiner hatte während der Zeremonie ein weißes Tuch über seine Schultern gelegt. In dem „Bereich“ spielte die Musik, was ich persönlich etwas „unfair“ gegenüber den Frauen empfunden habe, denn in dem Bereich der Männer wurde gebetet, gesungen, getanzt usw., in dem Bereich der Frauen war es etwas unruhig und man merkte, dass die eigentliche religiöse „Konzentration“ bei den Männern lag. Als „Nichtjüdin“ habe ich den Inhalt des in hebräischer Sprache abgehaltenen Gottesdienstes leider nicht verstanden, aber es wurde wohl aus den Bücher Mose vorgetragen. Am Ende gaben sich die Frauen mit den Worten „Schabbat Schalom“ die Hand, die Männer sagten dies aus Abstand ohne körperlichen Kontakt. Im Großen und Ganzen war es sehr interessant, einen Einblick in die „strenge“ Welt des Judentums zu erhalten, aber ich fand es sehr schade, dass wir als weibliche Besucher nicht an dieser Gemeinschaft teilhaben durften, sondern „abseits“ bleiben mussten.

 

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Natalja Fertich, Schülerin - Berufliches Gymnasium Gesundheit und Soziales, Jahrgang 13:

Am 11. März 2014 erreichten wir Lodz nach einer sehr langen Fahrt mit dem Nachtbus von Bremen. Am 12. März besuchten wir das III. Lyzeum, ein Gymnasium mit den Klassen 10 -12, also auch eine Oberstufenschule wie unser berufliches Gymnasium in Emden. Wir waren sehr erstaunt über das Schulgebäude, offensichtlich war es früher einmal ein Palast. Hier lernten wir unsere Austauschschüler kennen, die uns die gesamte Schule zeigten, inklusive Schwimmbad. Abends haben wir etwas mit den polnischen Schülern, die uns außerdem die Innenstadt von Lodz gezeigt haben, unternommen. In den nächsten zwei Tagen haben wir gemeinsam im Staatsarchiv gearbeitet, um Namen und Daten von ostfriesischen Juden zu recherchieren, die in das damals sogenannte Litzmannstadt deportiert wurden. Wir haben viele An- und Abmeldedaten gefunden. Es war eine mühsame, aber erfolgreiche Arbeit. Irgendwann haben die Augen nach der langen Bildschirmarbeit gestreikt. Am Freitag besuchten wir einen jüdischen Gottesdienst, den wir eine Stunde verfolgten. Es war ein eher orthodoxer Gottesdienst, Frauen und Männer saßen in getrennten Räumen. Alle Männer trugen Kopfbedeckungen, die Frauen teilweise Perücken. Es wurde gebetet, gesungen und getanzt. Mit einem christlichen Gottesdienst war diese Schabbatfeier nicht zu vergleichen. Zum Beispiel gab es keine Predigt, in welcher Erläuterungen oder Erklärungen von einem Pastoren gegeben wurden. Am Samstag fuhren wir wieder in Richtung Emden. Die Reise war eine sehr gute Erfahrung, mit vielen neuen Eindrücken – ähnlich wie im Jahr 2012 bei dem ersten Aufenthalt in Lodz. Ich würde jedem empfehlen, bei so einer Exkursion oder so einem Austausch mitzumachen.

 

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Agata Stawinski, Schülerin - Berufliches Gymnasium Gesundheit und Soziales, Jahrgang 13:

Am 11.03 kamen wir nach langer Busfahrt endlich in Lodz an. Unser Hotel namens "Hotel Polonia" lag mitten in der Innenstadt, sodass wir mühelos innerhalb von ein paar Minuten Fußweg die bekanntesten Straßen des Zentrums erreichen konnten. Eine dieser ist die sogenannte "Piotrowska“. Sie gehört zu den berühmtesten Straßen in Lodz, welche sich vor allem durch alte, wunderschöne und gut erhalten gebliebene Häuser auszeichnet. Am 12.03 besuchten wir schon am frühen Morgen unsere Austauschschule. Das Gebäude machte einen großen Eindruck auf mich, es ist sehr alt und wunderschön, machte eher den Eindruck eines Palastes als den einer Schule. Man erklärte mir, dass dieses Gebäude unter Denkmalschutz stünde und intensiv erhalten wird, viel Wert auf die Pflege und den Erhalt gelegt wird. So müssen die Schüler beispielsweise Hausschuhe tragen, um den Boden nicht zu zerstören. Nach der ersten Begegnung mit den Schülern und einer angenehmen Zeit an der Schule trafen wir uns am nächsten Morgen im Archiv wieder. Wie zwei Jahre zuvor stand uns harte Arbeit zuvor, um zwischen den unzähligen Postkarten und Anmeldekarten die richtigen zu finden, um unsere Recherche über die Juden aus Emden fortzusetzen. Glücklicherweise blieben wir nicht erfolglos und es gelang uns innerhalb von zwei Tagen mehr als zwei Dutzend Namen zu entdecken, um das Projekt der Stolpersteine mit noch fehlenden Daten voranzubringen. Am letzten Tag unserer Reise verbrachten wir noch einige Zeit mit unseren neuen Freunden aus Lodz und besuchten einen orthodoxen jüdischen Gottesdienst, welcher sich als höchst interessant erwies. Zwar waren wir Frauen ein wenig abgetrennt, weil man als Frau nicht direkt am Gottesdienst teilnehmen durfte, was uns jedoch nicht daran hinderte, einige Blicke durch die hellen Vorhänge zu werfen und den Gottesdienst mit anzusehen. Es wurde vor allem viel getanzt und gesungen, was einen sehr positiven Eindruck auf uns machte. Es fühlte sich alles sehr familiär und einladend ein, auch wenn ich mich durch die Einschränkungen, nicht direkt teilnehmen zu dürfen, ein wenig diskriminiert gefühlt habe. Im Großen und Ganzen war es eine riesige Erfahrung, die unsere Reise noch interessanter gestaltete.