Eine Reise nach Lodz

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Bericht - Lazarus Altgenug

 

Lazarus Altgenug wurde am 8.12.1869 in Norden als Sohn von Levy Altgenug und Bertha Wolf in der Hindenburgstr.74 in Norden geboren. Wie sein Vater erlernte Lazaraus den Beruf des Schlachters. Seit dem 19.5.1921 wohnte er mit seiner Schwester Lina und seinem Bruder Wolff in der Sielstraße 23 (heute Nr.5).

 

Blick auf die Altstadt von Norden. Am oberen Bildrand zu sehen ist das
Sanierungsgebiet zwischen Uffen-/Heringstraße und Burggraben.
Mit dem Pfeil markiert ist das Haus Sielstraße 23, Luftaufnahme von 1970.
Foto: Medienzentrum Norden

 

Norden, Sielstraße 23 (heute Nr. 5), gesehen von der Straße Am alten Siel, Höhe Sozialstation
(ehemals Sielschule). im Hintergrund die Wohngebäude der Neuen Heimat, entstanden in den
70iger Jahren.

 

Die Geschwister von Lazarus Altgenug:
1. Wolff, geb. 8.11.1854 in Norden, gest. 18.3.1940 in Norden, Beruf - Schlachter
2. Moses, geb. 3.2.1857 in Norden, gest. 7.6.1938 in Norden, Beruf - Schlachter
3. David, geb. 6.6.1858 in Norden, gest. 27.3.1934 in Hage, Beruf - Schlachter
4. Josef, 17.4.1861 in Norden, gest.?, Beruf - Viehhändler
5. Carl, geb. 2.4.1863 in Norden, gest.?
6. Lina, geb. 15.4.1865 in Norden, 1942 ermordet in Chelmno
7. Jakob, geb. 3.8.1867, gest. 7.4.1924, Beruf - Schlachter (1)

Joseph Arnon, Enkel von Joseph Altgenug, berichtet über die Familie in der Sielstraße 23 und über seinen Großonkel Lazarus: „Leonhard Altgenug, Sohn von Jakob Altgenug in der Sielstraße 14, hat im Schlachthof gereinigte Därme aufgekauft, eingesalzen in Fässer gelegt, die mit Deckeln abgedeckt, die mit Steinen beschwert wurden – so wie früher in Norden bei der Herstellung von Sauerkraut und Schnippelbohnen. Diese Därme verkaufte Leonhard Altgenug an ostfriesische Metzger (Wursthersteller). Onkel Wolff Altgenug war auch Abnehmer von Fleisch. Er hatte eine Metzgerei in der Hindenburgstraße, vorher in der Westerstraße, wo ich geboren bin. Er hat auch die Pakete ausgeliefert, die von Onkel Lala (Lazarus Altgenug) laut Bestellung der Kunden vorbereitet waren. Bei meinem Großvater in der Sielstraße 23 wurde die Ware in zwei Ladenbereichen verkauft: In dem einen Ladenbereich wurde mit Sicherheit das Koscher-Sein der Fleischwaren (Kalb, Rind, Schaf) unter gelockerten Richtlinien beachtet. Es gab frische und geräucherte Mettwurst, Knackwurst, Teewurst, Sülze, alles ohne Schweinefleisch.  Jakob in der Sielstraße 14 hatte sich aufs Räuchern spezialisiert. Er räucherte neben Fleischwaren auch Fisch. Im zweiten Ladenbereich, abgetrennt  vom vorher erwähnten haben sie auch Fleischware verkauft, die nicht koscher war, z.B. vom Hinterteil der Rinder, evtl. sogar Zungenwurst, die mit Blut hergestellt wird. Kunden waren Nichtjuden und Juden, die zwar Wert auf Qualität legten, aber nicht unbedingt koscher einkaufen wollten. Der jüdische Metzger Heß hatte nur koschere Waren; Cossen in der Sielstraße hat auch Schweinefleisch verkauft und verarbeitet. (2)

 

Schreiben vom Norder Landrat an den Regierungspräsidenten in Aurich, Verzeichnis
der letzten elf Juden in Norden. Staatstarchiv Aurich (STAA Rep. 16/1, 4412)

 

 

Am 16. April 1940 berichtet der Landrat  aus Norden dem Regierungspräsidenten in Aurich, dass im Kreis Norden noch elf Juden wohnhaft seien. (3) Neben Lazarus, Josef und Lina Altgenug wohnten zu diesem Zeitpunkt in deren Haus in der Sielstraße 23 die drei Norderneyer Engeline Rosenstamm, Karl und Julie Müller, Jette und Samuel Heymann sowie Amalie Cleef. (4) Die Vorgenannten haben den Holocaust nicht überlebt. Mit der Deportation nach Litzmannstadt/Lodz in Polen befanden sich alle ostfriesischen Juden auf „feindlichem Gebiet und dokumentierten durch weiteres Fernbleiben vom Heimatort die Volks- und Staatsfeindlichkeit“. Damit verloren sie ihre deutsche Staatsbürgerschaft mit „Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland“. (5) Das gesamte Vermögen aller genannten Personen wurde beschlagnahmt und verfiel dem Reich.

Bevor Lina und Lazarus Altgenug am 13.10.1941 nach Emden "evakuiert" wurden, mussten Sie Ihr Haus (inklusive 311m² Grundstück), welches auf einen Einheitswert von 6300 Reichsmark festgelegt worden war, am 7.10.1941 für 6000 Reichsmark an einen nicht näher benannten Handwerker verkaufen. (6)

 

Sielstraße Ecke Am alten Siel. Das zweite Haus ist das ehemalige Wohnhaus von
Lina und Lazarus Altgenug, Sielstraße 23. Das Eckhaus wurde mittlerweile abgerissen.
Foto: Medienzentrum Norden

 

In einer Meldekartei des Einwohnermeldeamtes Norden (Staatsarchiv Aurich, Dep.60) wird die "Abzugszeit" in die Webergildestraße 43 nach Emden mit dem Datum 13.10.1941 angegeben.

 

 

Lazarus Altgenug, Meldekartei des Einwohnermeldeamtes Norden (Staatsarchiv Aurich, Dep.60) 

 

 

Die mit dem 4.1.1942 datierte Postkarte, die Schüler im Staatsarchiv Lodz entdeckt haben, schrieb er an seinen Bruder Josef Altgenug, Israelitisches Altenheim, Ellnerstr.16 in Hannover mit dem Absender: Lazarus Altgenug, Litzmannstadt, Altersheim, Gnesener Str.26.

Der Inhalt der Postkarte lautet:

„Lieber Josef, Weshalb schreibst du nicht? Hoffentlich bist du gesund! Von dem < ? > das Beste. Ich muss einige Tage im Bett bleiben, habe leider dicke Füße und einen Bronchialkatarrh. Hoffentlich geht es bald besser. Mach es mit deinem Brief, wie du es immer in Norden gemacht hast. Viele Grüße. Dein Lazarus.“

 

 

 Staatsarchiv Lodz, Mikrofilm: L 20936 I - 7707

 

 

Joseph Altgenug, an den die Postkarte gerichtet ist, starb am 16. 1. 1942 im Jüdischen Altersheim in Hannover an "Altersschwäche" im Israelitische Krankenhaus in Hannover. Ende März 1940 war er dorthin gezogen. Der Bruder Karl Altgenug dagegen ist im Internet im Gedenkbuch Wuppertal auffindbar.  Er war Kaufmann und verheiratet mit Rosa, geb. Grohs, geboren am 9. 9. 1871 in Zweibrücken. Beide wurden am 21.7.1942 nach Theresienstadt deportiert und von dort am 21. 9. nach Treblinka transportiert. Sie hatten drei Söhne und eine Tochter. Diese Informationen erhielten wir von Almut Holler von der Ökumenischen Arbeitsgruppe Synagogenweg Norden.


Staatsarchiv Aurich, Rep. 127, Nr 1546


Staatsarchiv Aurich, Rep. 127, Nr. 1546


Moses Pels am 17. März 1939 in Emden (Staatsarchiv Aurich, Dep. 60, Jüdische Kennkarten 1939)



Staatsarchiv Aurich, Rep. 127, Nr. 1546


Meldekarte aus dem Staatsarchiv Lodz, Mikrofilm L21106cz9, laufende Nummer 10000

Das Schicksal von Lazarus Altgenug und Lina Altgenug konnte geklärt werden. Er starb am 6. Februar 1942 im Greisenheim Gnesener Straße 26, seine Schwester Lina knapp zwei Wochen später am 19.02.1942. Die Ursache des Todes geht aus den Meldekarten nicht hervor. Lazarus wurde 72 Jahre alt, seine Schwester fast 77 Jahre. War der Hunger oder die mangelnde medizinische Versorgung Ursache für den Tod? Oder lag es an dem sehr strengen Winter 41/42 mit Temperaturen bis zu - 20° Celsius? 


Quellen:

(1) Gödeken, Lina: Rund um die Synagoge in Norden, Aurich 2000,  S.324 ff.

(2) ebd., S.30/31

(3) Staatsarchiv Aurich, Rep. 16/1,4412, Bl. 93

(4) Gödeken, Lina: S.325

(5) Reichsgesetzblatt I, 1941, S.722 ff.

(6) Gödeken, Lina: S. 530



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Projektpublikation - 9,00€
Verkaufsstellen:
Stadtarchiv Emden
Landesmuseum Emden
BBS II Emden







 


Das Projekt "Eine Reise nach
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Land der Entdeckungen 2013


 

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